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John Steinbeck: Früchte des Zorns

Eigentlich weiß man viel zu wenig über das Amerika der 1930er Jahre. Gemeinhin ist Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo der Tellerwäscher es zum Millionär bringen kann. Wobei der Blick jener Zeit eher nach Europa geht, so dass man wenig weiß von der Dust Bowl und den Hoover Cities in den krisengeschüttelten USA. Genau in dieser Zeit spielt John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“, der exemplarisch den Weg einer Familie zeigt, die dem Lockruf nach Westen folgt und aus ihrem Elend in noch tiefere Drangsal kommt.

Mit Tom Joad, einem ehemaligen Häftling, lernt man den ältesten Sohn der Familie kennen, der nach vier Jahren Gefängnis auf dem Weg nach Hause durch ein ausgetrocknetes, vom Raubbau gekennzeichnetes Land kommt.

Steinbecks Schilderung allein dieser Landschaft fasziniert durch die lebendige Gestaltung dieser öden staubigen Gegend. Joad trifft auf Reverend Casy, einen gleichermaßen Heimatlosen wie er. Mit ihnen wandert der Leser durch das Land, dessen Pächter aufgrund der Trockenheit ihre Pacht nicht mehr bezahlen können und deshalb von den Landbesitzern verjagt werden. Der Sieg der Technik, die jetzt mit Traktoren die Erde zerschneidet, wird in ihrer Erbarmungslosigkeit gezeigt, der die Pächter hilf- und schutzlos ausgeliefert sind. Joads Familie ergeht es wie vielen anderen. Auch sie ist gezwungen, das Land zu verlassen, auf dem sie seit Generationen gelebt hat.

Joad muss seine Situation erklären, denn für die Familie ist nicht nachvollziehbar, dass ein Joad je ins Gefängnis gekommen wäre. Tom hat eine Bewährungsstrafe, was im weiteren Verlauf der Geschichte für ihn immer wieder der Anlass ist, sich möglichst nirgends von Polizisten kontrollieren zu lassen, zumal er nicht in seiner Heimat bleibt, sondern wie tausend andere sich auf den Weg nach Westen macht mit einem alten behelfsmäßig reparierten Lastwagen.

Die Reise wird zu einem Querschnitt des Lebens der Massen von Flüchtlingen, die in Kalifornien ihr Sehnsuchtsziel sehen, weil es dort Arbeit und Nahrung gibt. Man erfährt über die Nutznießer dieses Elends, die am Routenrand ihre Geschäfte machen mit arbeitssuchenden Menschen, deren letztes Geld in ausrangierte Autos gesteckt wird, nur um mithalten zu können in dem Zug nach Westen.

Hunger, Krankheit und Tod begleiten die Menschen auf der Route 66, jener berühmt gewordenen Straße eines Volkes auf der Flucht. Aufrecht hält die Menschen nur die Hoffnung auf Arbeit im gelobten Land, dort in Kalifornien, wo man Orangen und Pfirsiche essen wird. In all diesem Elend aber bleiben die Fliehenden Menschen, die sich gegenseitig helfen in der Not. Toms Geschwister Al und Rose, deren Freund Connie, Onkel John, Toms Vater, seine Mutter, die Großeltern und die Zwillinge Ruthie und Winfield sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie schlagen sich durch in einer menschenfeindlichen Umgebung und trotzen dem Egoismus der Ausbeuter durch gegenseitige Hilfe und mitmenschliche Unterstützung. Sie teilen das wenige, was sie haben, mit anderen. Aber auch sie trifft das Schicksal. Zuerst stirbt der Großvater, dann die Großmutter, aber alle ziehen am gleichen Strang: weiter nach Kalifornien. Immer wieder werben Zettel damit, dass Erbsenpflücker gesucht würden, denen gute Löhne versprochen werden.

Steinbeck lässt hier die Menschen als Beispiel für den Lebenswillen den Weg ins Elend durchleiden: „Fürchte die Zeit, da der Mensch nicht mehr leiden und sterben wird für ein Ideal, denn diese eine Eigenschaft ist die Grundlage der Menschheit, diese eine Eigenschaft ist der Mensch , einmalig im Universum“ (S.162)

Der Weg nach Westen führt nicht ins Paradies, sondern weiter in die Verelendung. Zwar erreicht die Familie das reiche Land, aber die Plantagenbesitzer nutzen die Not der Arbeitsuchenden und drücken die Löhne, die den Familien nicht zum Überleben reichen: Keimzelle der Empörung - Aufstände brechen aus. Die Plantagenbesitzer sichern sich mit staatlicher Hilfe gegen die Masse der Arbeitsuchenden. Korruption und Unmenschlichkeit auf der einen Seite, Hilflosigkeit und der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen, auf der anderen Seite. Die Krise fordert ihre blutigen Opfer.

Am Ende schlägt auch die Natur die Gedemütigten und reißt in einem Wolkenbruch die letzten Habseligkeiten der Menschen mit sich. Ein trauriges Ende, wäre da nicht Rose, die zuvor von ihrem Freund verlassen, eine Totgeburt erleidet und nun einem verhungernden Mann das Leben retten kann.

Steinbeck gelang mit diesem Roman die Darstellung einer menschlichen Tragödie, die durch die Fotografin Dorothea Lange eine adäquate Illustration erhält. Ihre Fotos machen in ihrer Eindringlichkeit das damalige Elend deutlich und zeigen uns, dass Amerika eine Achillesferse hat. Das Land der 1001 Möglichkeiten schafft es auch heute immer noch nicht, Krisensituationen präventiv mit einer menschlichen Sozialpolitik zu meistern.